Freitag, 5. Juni 2009

EuGH: Einzelnes Treffen konkurrierender Unternehmen kann bereits «abgestimmte Verhaltensweise» begründen

via Beck Online

zu EuGH, Urteil vom 04.06.2009 - C-8/08
Ein einziges Treffen zwischen konkurrierenden Unternehmen kann eine abgestimmte Verhaltensweise begründen, die gegen das Wettbewerbsrecht der Europäischen Gemeinschaft verstößt. Dies hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 04.06.2009 entschieden (Az.: C-8/08). Er stellte zudem klar, dass der nationale Richter die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Vermutung des Kausalzusammenhangs zwischen der Abstimmung und dem Marktverhalten der betreffenden Unternehmen anwenden muss.
Hintergrund

Im Jahr 2001 verfügten in den Niederlanden fünf Betreiber über ein eigenes Mobilfunknetz, nämlich Ben Nederland BV (jetzt T-Mobile), KPN, Dutchtone NV (jetzt Orange), Libertel-Vodafone NV (jetzt Vodafone) und Telfort Mobiel BV (später O2 Netherlands BV, jetzt Telfort). Am 13.06.2001 trafen sich Vertreter dieser fünf Betreiber. Bei diesem Treffen ging es unter anderem um die Kürzung der Standardvertragshändlervergütungen für Postpaid-Verträge am oder um den 01.09.2001.
Niederländische Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbußen

Im Dezember 2002 stellte die Niederländische Wettbewerbsbehörde fest, dass die fünf Betreiber miteinander eine Vereinbarung geschlossen beziehungsweise ihre Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hatten. Da die Behörde der Ansicht war, dass diese Verhaltensweisen den Wettbewerb erheblich beeinträchtigten und daher gegen das nationale Recht verstießen, verhängte sie Geldbußen gegen die betroffenen Unternehmen. Diese fochten den Bescheid an.
Vorlage an den EuGH

Das Niederländische Verwaltungsgericht für Handel und Gewerbe, bei dem in dem Rechtsstreit Berufung eingelegt wurde, rief den EuGH an. Es möchte wissen, wie der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise zu verstehen ist. Der EuGH möge insbesondere angeben, welche Kriterien bei der Beurteilung, ob eine abgestimmte Verhaltensweise einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolge, anzuwenden seien. Ferner solle er klarstellen, ob der nationale Richter, der das Vorliegen einer abgestimmten Verhaltensweise prüfe, die in der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Kausalitätsvermutung anwenden müsse. Das Verwaltungsgericht möchte außerdem wissen, ob diese Vermutung selbst dann gilt, wenn die Abstimmung nur auf einem einzigen Treffen der betroffenen Unternehmen beruht.
Definition der abgestimmten Verhaltensweise

In seinem Urteil definiert der EuGH zunächst den Begriff der abgestimmten Verhaltensweise. Es handele sich dabei um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar noch nicht bis zum Abschluss eines Vertrags im eigentlichen Sinn gediehen sei, jedoch bewusst eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten lasse.
Kriterien für Wettbewerbswidrigkeit einer abgestimmten Verhaltensweise

Als Kriterien, anhand derer beurteilt werden kann, ob eine abgestimmte Verhaltensweise wettbewerbswidrig ist, nennt der EuGH unter anderem die objektiven Ziele, die sie zu erreichen sucht, sowie den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang, in den sie sich einfügt. Für einen wettbewerbswidrigen Zweck reiche es bereits aus, wenn die abgestimmte Verhaltensweise das Potenzial habe, negative Auswirkungen auf den Wettbewerb zu entfalten. Die abgestimmte Verhaltensweise müsse lediglich konkret unter Berücksichtigung ihres jeweiligen rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhangs geeignet sein, zu einer Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes zu führen.
Informationsaustausch zur Beseitigung von Unsicherheiten immer wettbewerbswidrig

Eine abgestimmte Verhaltensweise könne auch dann als Verhaltensweise angesehen werden, die einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolge, wenn sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verbraucherpreisen stehe, sondern sich nur auf die Vergütungen beziehe, die den Vertragshändlern für den Abschluss von Postpaid-Verträgen gewährt würden. Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass jeder Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern einen wettbewerbswidrigen Zweck verfolge, sofern er geeignet sei, die Unsicherheiten hinsichtlich des von den betreffenden Unternehmen ins Auge gefassten Verhaltens auszuräumen. Dies gelte auch dann, wenn dieses Verhalten wie hier eine Kürzung der Standardvertragshändlervergütung betreffe. Es sei Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob die Informationen, die bei dem Treffen vom 13.06.2001 ausgetauscht wurden, geeignet gewesen seien, derartige Unsicherheiten auszuräumen.
Nationale Gerichte müssen Kausalitätsvermutung anwenden

Der EuGH betont, dass der nationale Richter verpflichtet sei, die in der Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellte Kausalitätsvermutung anzuwenden. Hintergrund ist, dass der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise über die Abstimmung zwischen den Unternehmen hinaus ein dieser entsprechendes Marktverhalten und einen ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraussetzt. In diesem Zusammenhang hat der EuGH in seiner Rechtsprechung eine Kausalitätsvermutung aufgestellt, wonach die an der Abstimmung beteiligten und weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen vorbehaltlich des den betroffenen Unternehmen obliegenden Gegenbeweises die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Marktverhaltens berücksichtigen. Da die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Gerichtshof für alle nationalen Gerichte der Mitgliedstaaten bindend sei, müsse der nationale Richter diese Kausalitätsvermutung anwenden, so der EuGH.
Einmalige Kontaktaufnahme kann ausreichen

Der Gerichtshof weist schließlich darauf hin, dass auch eine einzige Kontaktaufnahme je nach Struktur des Marktes grundsätzlich ausreichen könne, um es den beteiligten Unternehmen zu ermöglichen, ihr Marktverhalten abzustimmen. Errichteten die beteiligten Unternehmen ein Kartell mit einem komplexen System einer Abstimmung im Hinblick auf eine Vielzahl von Aspekten ihres Marktverhaltens, so möge eine regelmäßige Kontaktaufnahme über einen längeren Zeitraum hinweg notwendig sein. Sei hingegen wie hier nur eine punktuelle Abstimmung im Hinblick auf einen einzigen Wettbewerbsparameter bezweckt, könne auch die einmalige Kontaktaufnahme bereits eine ausreichende Grundlage bieten, um den angestrebten wettbewerbswidrigen Zweck in die Tat umzusetzen.
Vermutung des Kausalzusammenhangs greift auch bei einem Treffen

Entscheidend sei daher nicht so sehr, wie viele Treffen es zwischen den beteiligten Unternehmen gegeben habe. Es komme vielmehr darauf an, ob der oder die Kontakte, die stattgefunden hätten, es ihnen ermöglicht hätten, die mit ihren Wettbewerbern ausgetauschten Informationen bei der Festlegung ihres Verhaltens auf dem jeweiligen Markt zu berücksichtigen und eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle der mit dem Wettbewerb verbundenen Risiken treten zu lassen. Wenn nachgewiesen werden könne, dass die beteiligten Unternehmen eine Abstimmung erzielt hätten und dass sie weiterhin auf dem Markt tätig seien, sei es gerechtfertigt, von ihnen den Beweis dafür zu verlangen, dass diese Abstimmung ihr Marktverhalten nicht beeinflusst habe. Die Vermutung des Kausalzusammenhangs zwischen der Abstimmung und dem Marktverhalten eines an ihr beteiligten Unternehmens gelte daher auch dann, wenn die Abstimmung auf einem einzigen Treffen der betroffenen Unternehmen beruhe, sofern das Unternehmen auf dem jeweiligen Markt tätig bleibe.

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